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Kunstmuseum Winterthur:

Virginis Thuricensis

Meyer - Forma Habitus Mundus Virginis Thuricensis

Conrad Meyer
Forma, Habitus ac Mundus Virginis Thuricensis, 1659
Öl auf Leinwand, 88 x 58 cm, Privatsammlung Zürich

Das Leben im reformierten Zürich zur Zeit Conrad Meyers war, wie in weiten Teilen Europas, von einer strengen gesellschaftlichen Ordnung geprägt. Politik, Wirtschaft und das soziale Leben wurden von der städtischen Zunftverfassung bestimmt, während sogenannte Sittenmandate das Privatleben der Bevölkerung bis ins kleinste Detail regelten. Staat und Kirche arbeiteten eng zusammen, um die Bevölkerung zu einem sittsamen Lebenswandel im Einklang mit dem reformierten Glauben zu erziehen und so die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Im Fokus standen Arbeitsdisziplin, Bescheidenheit und Konformität. So richteten sich die Mandate beispielsweise gegen üppige Feste, Fluchwörter, Ehebruch, extravagante Kleidung sowie jegliche Form von Luxus.

Diese strengen Vorgaben spiegelten sich in der Mode jener Zeit deutlich wider: Die Menschen in Zürich kleideten sich schlicht, in gedeckten Farben und mit zurückhaltenden Dekors. Vor diesem Hintergrund ist das Gemälde von Conrad Meyer aufschlussreich: Es zeigt nicht ein individuelles Porträt, sondern präsentiert einen Prototyp einer jungen Zürcherin des 17. Jahrhunderts. Was wir auf diesem Gemälde sehen, verrät uns die lateinische Inschrift im Stein vorne rechts im Bild: «Forma, Habitus ac Mundus Virginis Thuricensis», auf Deutsch etwa: Aussehen, Kleidung und Schmuck der jungen Zürcherin. Was trug denn nun eine junge Zürcherin in der Mitte des 17. Jahrhunderts?

Ins Auge sticht zunächst ihre auffällige Halskrause, ein sogenannter Mühlsteinkragen, ein wichtiger Bestandteil der spanischen Mode. Obwohl diese strenge Mode aus dem katholischen Spanien stammte, fand sie auch in reformierten Orten wie Zürich Verbreitung. Sie zeichnet sich durch enge, hochgeschlossene Schnitte und dunkle Farben aus. Die Zürcherin auf dem Bild trägt eine abgewandelte Form mit einem glockenförmigen Rock mit goldfarbener Bordüre. Unter ihrer schwarzen Jacke ist an den Ärmeln und am Dekolleté weisse Spitze zu erkennen. Den Kopf bedeckt eine typische Pelzkappe, in Zürich Hinterfür genannt. In den Händen hält die Frau ihre Handschuhe. Der Schmuck aus Gold und Perlen verrät trotz der schlichten Kleidung den Wohlstand seiner Trägerin.

Bemerkenswert ist die Einbettung der Figur vor dem Hintergrund eines zeitgenössischen Abbilds von Zürich. Der Horizont liegt so tief, dass der grösste Teil vom Himmel eingenommen wird und damit den für Meyers Porträtauffassung typischen nüchternen Hintergrund liefert. Die leicht bogenförmige Anlage des Sees gibt der Stadtsilhouette eine kleine Wölbung, so als sehe man hier die Erdkrümmung. Die Figur ist eingebettet in ihre Welt – und die ist Zürich.